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Song:Eisenbahnballade
Album:Lieder der 80er JahreGenres:Songwriter
Year:1989 Length:611 sec

Lyricist: Reinhard Mey

Lyrics:

Ein dichter Nebel senkte sich auf die grosse, fremde Stadt.
Ein langer Arbeitstag lag hinter mir, ich war abgespannt und matt.
Zu muede fueare die Autobahn, zu spaet fueare den letzten Flug.
Doch ich wollte nach Haus,
Und da fand ich heraus,
Gegen Mitternacht ging noch ein Zug. Es blieb noch etwas Zeit, ich wusste nicht wohin, so stand ich am Bahnhof herum:
Einem Prunkbau aus laengst vergangener Zeit, Draengeln, Suchen und Schieben ringsum.
Ich sah die Reisenden, die Wartenden und die Gestrandeten der Nacht,
So viel Gleichgueltigkeit,
So viel Jammer und Leid
Unter so viel kalter Pracht. Ich trat auf den offenen Bahnsteig hinaus, die nasskalte Luft hielt mich wach.
Ich froestelte, schlug meinen Kragen hoch und sah meinem Atem nach.
Aus der Dunkelheit schwebten ueberm Gleis drei Lichter, mein Zug fuhr ein.
Eine Wagentueare schlug.
Es war warm in dem Zug,
Und ich war I'm Abteil ganz allein. Lautlos fuhren wir an, und die Lichter der Stadt versanken in milchigem Brei.
Und immer schneller flogen erleuchtete Fenster und Vorstadtbahnhoefe vorbei.
Noch ein Bahnuebergang, ein paar Scheinwerfer und die Welt da draussen verschwand.
Mein Abteillicht fiel in weiss
Auf den Schotter am Gleis,
Und ich ahnte das dunkle Land. Und durch die Dunkelheit drang
Der monotone Klang
Der Raeder auf dem Schienenstrang,
Ein einsamer Gesang,
Den staehlernen Weg entlang. Vorn an der Trasse standen sie, die Haut wettergegerbt.
Mit ihren Spaten hatten Sie Adern ins Land gekerbt,
Mit Hacken und mit Haemmern hatten Sie Berge bewegt
Und Schwellen ueber Schotter und darauf Schienen gelegt. In bittrem Frost, sengender Glut, in Regen, Tag fueare Tag,
Nachts einen Strohsack auf dem Boden I'm Bretterverschlag.
Und wieder auf beim Morgengrau'n fueare jaemmerlichen Lohn
Und noch ein neues Vermoegen mehr fueare den Stahlbaron. Und bald fauchte das Dampfross funkenspruehend durch das Land.
Manch neue Industrie und manch Imperium entstand,
Manch unschaetzbarer Reichtum, doch an jedem Meter Gleis,
Jeder Bruecke, jedem Tunnel klebten Traenen, Blut und Schweiss.
Die Eisenbahn trug Fortschritt, technische Revolution
In jedem Winkel, bis in die entlegenste Station.
Trug Gueter von den Seehaefen bis an den Alpenrand,
Verband Menschen und Staedte und trug Wohlstand in das Land. Doch der grossen Erfindung hattet stets die Tragik an,
Dass Sie dem Frieden, aber auch dem Kriege dienen kann.
Endlose Ruestungszuege rollten bald schon Tag und Nacht:
Kriegsgeraet und Kanonen war'n die vordringliche Fracht. Schon draengte sich auf Bahnhoefen siegesgewiss das Heer,
Den Jubel auf den Lippen und mit Blumen am Gewehr,
In fahnen- und siegesparol'n behangene Waggons
Nach Lemberg oder Luettich, nach Krakau oder Mons. I'm Trommelfeuer von Verdun erstarb der Siegeswahn,
Aus Zuegen wurden Lazaretts, und diesmal sah die Bahn
Den Rueckzug der Geschlagenen und - den Kriegsherren zum Hohn
I'm Waggon I'm Wald von Compiegne, die Kapitulation. Millionen Tote auf den Schlachtfeldern, sinnloses Leid.
Wer heimkehrte, fand Elend, Not und Arbeitslosigkeit.
Doch auf dem Boden des Zusammenbruchs gediehen schon
Die Schieber und die Kriegsgewinnler, die Spekulation. Aber es spross auch aus den Wirr'n verstrickter Politik
Der zarte, schutzbeduerft'ge Halm der ersten Republik.
Doch Kleingeist, Dummheit und Gewalt zertrampelten ihn gleich
Mit Nagelstiefeln auf dem Weg ins Tausendjaehr'ge Reich. Die Unmenschen regierten, und die Welt sah zu und schwieg.
Und wieder hiess es: 'Raeder muessen rollen fuer den Sieg!'
Und es begann das dunkelste Kapitel der Nation,
Das dunkelste des Fluegelrades: Die Deportation. In Guetewaggons eingeschlossen, eingepfercht wie Vieh,
Verhungert und verzweifelt, nackt und frierend standen sie,
Hilflose Frau'n und Manner, Greise und Kinder sogar,
Auf der bittren Reise, deren Ziel das Todeslager war. Dann aber brach der Zorn der Gedemuetigten herein,
Kein Dorf blieb da verschont, da blieb kein Stein auf einem Stein,
Und Bomben fielen, bis das ganze Land in Flammen stand,
Die Staedte ausradiert war'n und der Erdboden verbrannt. Der Krieg war moerderischer als jemals ein Krieg zuvor,
Und schwer gestraft das Volk, das ihn frevelnd heraufbeschwor.
In Truemmern und Ruinen strichen Sie hungernd umher,
Die Ueberlebenden, die Ausgebombten, nichts ging mehr. Und immer laengere Fluechtlingstrecks kamen Tag fueare Tag
Und Irrten durch ein Land, das unter Schutt und Asche lag.
Der Ueberlebenswille zwang sie, nicht zu resignier'n,
Die Aussichtslosigkeit, das Unmoegliche zu probier'n: Noch aufzuspringen, wenn irgendwo ein Hamsterzug ging,
Wenn an den Waggontuer'n schon eine Menschentraube hing.
Ein Platz auf einem Puffer, einem Trittbrett bestenfalls
Mit Hoffnung auf ein bisschen Mehl, Kartoffeln oder Schmalz. Was auf dem Bahndamm lag, wurde von Kindern aufgeklaubt,
Und manch ehrlicher Mann hat manchen Kohlenzug beraubt.
Und dann kamen die Zuege mit den Heimkehrern besetzt,
Verwundet und zerschunden, abgerissen, abgewetzt. Wie viele Dramen spielten sich auf den Bahnsteigen ab!
Suchen und Freudentraenen, wo's ein Wiedersehen gab,
Warten, Hoffen und Fragen, wird er diesmal dabei sein?
Viele kamen vergebens, und viele gingen allein. Zerschoss'ne Loks und Wagen wurden recht und schlecht geflickt
Und auf ein abenteuerliches Schienennetz geschickt.
Und der Puls begann zu schlagen, und aus dem Nichts entstand,
Mit Hoffnungen und Traeumen beladen, ein neues Land. Und durch das Morgengrau'n drang
Der monotone Klang
Der Raeder auf dem Schienenstrang,
Ein schwermuetiger Gesang,
Den staehlernen Weg entlang. Das Rattern der Raeder ueber eine Weiche rief mich in die Gegenwart.
Uebernaechtigt war ich aufgewacht, ich war fast arn Ziel meiner Fahrt.
Ich rieb mir die Augen und rekelte mich, das Neonlicht schien fahl,
Und I'm leeren Raum
Zwischen Wachen und Traum
Sah ich Sie noch einmal: Der Adler, der Fliegende Hamburger, die Preussische P 8,
Und die sagenumwobene 05 feuchten vor mir durch die Nacht.
Ein Gegenzug auf dem Nachbargleis riss mich aus den Traeumen heraus.
Ein Blick auf die Uhr,
Zehn Minuten nur,
Und zum Fruehstueck waer' ich zu Haus. Draussen konnt' ich fueare Augenblicke in erleuchtete Fenster sehn.
Sah die Menschen auf dem Weg zur Arbeit auf den Vorstadtbahnhoefen steh'n,
Sah die Scheinwerfer der Autos vor den Schranken am Bahnuebergang,
Und eine Hoffnung lag
Ueber dem neuen Tag
Und in dem Sonnenaufgang.
LyricsFreak




 

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