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Song:Foto vor mir auf dem Tisch
Album:Lieder der 80er JahreGenres:Songwriter
Year:1989 Length:364 sec

Lyricist: Reinhard Mey

Lyrics:

Das Foto vor mir auf dem Tisch
Ist laengst vergilbt und altmodisch
In seinem jugendstilgeschwung'nen Rahmen
Ein kleines Maedchen jener Zeit
In einem weissen Spitzenkleid
So wie auf manch alten Bonbonreklamen
Ein kleiner, runder Kinderkopf
Ein rabenschwarzer Lockenschopf
Und grosse braune Augen, unbestritten
Meine eigenen Zuege sind
Dem kleinen Maedchen, wie ich find'
Wie man so sagt, aus dem Gesicht geschnitten
Sie mag drei Jahr' sein, oder vier
Welch eine Reise liegt vor ihr
Welch langer Weg an ihrem Lebensmorgen
Freude und Leid der Kinderzeit
In Guete und Geborgenheit
Die Schule und damit die ersten Sorgen
Der Erste Weltkrieg bricht herein
Sie ziehen ihren Vater ein
Zum 'ungedienten Landsturm', wie sie's nennen
Ihn, dessen Haende zur Musik
Viel besser taugen als zum Krieg
Und Sie lernt Hunger und Entbehrung kennen
Kriegsende, Elend, Inflation
Das Ende mancher Illusion
In Ungewissheit, Wirrwarr und Geschiebe
Der Mut zu einem Neubeginn
Die Ausbildung als Lehrerin
Die erste und gleich die ganz grosse Liebe
Die Feste in den Ateliers
Die Baelle, die Kuenstlercafes
Das Charlestonkleid, Stirnband und kurze Haare
Und jeder Tag und jede Nacht
Wird wie ein Feuerwerk entfacht
Es sind auch ihre 'wilden zwanz'ger Jahre'
Die Jugendliebe wird ihr Mann
Im Beruf erkennt man Sie an
Ihr erstes Kind, ein Maedchen, wird geboren
Doch Deutschland wird mobil gemacht
Und wieder senkt sich tiefe Nacht
Ueber die Welt, und alles ist verloren
Sie holen alle fuer den 'Sieg'
Und auch ihr Mann muss in den Krieg
Sie selbst wird in Berlin zum Dienst verpflichtet
Und als der Bombenhagel faellt
Bringt Sie mich eines Nachts zur Welt
Im Klinikflur, so hat sie's mir berichtet
Und nun wird Alles doppelt schwer
Allein in diesem Truemmermeer
Es geht nur noch darum zu ueberleben
Und dabei hat Sie irgendwie
Auch wenn der Himmel Feuer spie
Mir Waerme und Geborgenheit gegeben
Und dann im zerbombten Berlin
Mit mir von Tuer' zu Tuere zieh'n
Manchmal gibt's was auf Lebensmittelkarten
Sich nicht verlier'n in dem Gewirr
'N Kelle Brei ins Kochgeschirr
Und wieder in endlosen Schlangen warten
Aus ihren Kleidern macht Sie mir
Mantel und Rock, und wenn ich frier'
Briketts aus den letzten Habseligkeiten
Mit Liebe und aus nichts macht sie
Mir Spielzeug und mit Phantasie
Eine glueckliche Zeit aus bitt'ren Zeiten
Zum Avus-Rennen mit mir geh'n
Nach Tempelhof, die Flieger seh'n
Im Kaufhaus stundenlang Rolltreppe fahren
Sie lehrt mich schwimmen und sogar
Etwas verbot'ner Weise zwar
Den Brezelkaefer fahren, mit zwoelf Jahren
Und dann in meiner wilden Zeit
Stur wie ein Bock, mit allen Streit
Kein noch so guter Rat wird angenommen
Nur ihrer, so ganz nebenher
Sie laesst mir das Gefuehl, als waer'
Ich zu der Einsicht ganz allein gekommen
Der erste eig'ne Weg ist schwer
Weiss nicht, wie oft ich noch heimkehr'
Mit vollem Herzen und mit leeren Taschen
Wie oft hat Sie mir dann verdeckt
Manche Markfuenfzig zugesteckt
Den Koffer gepackt und mein Zeug gewaschen
Nach Hause kommen, das tat gut!
Noch oft hat Sie mir neuen Mut
Ideen und Begeisterung gegeben
Manch Beispiel von Grosszuegigkeit
Die Lebensfreude zum Geleit
Und manch gute Lektion blieb bei mir kleben
Heute faellt ihr das Sehen schwer
Die Augen sind so gut nicht mehr
Und Sie hat Muehe ohne Glas zu lesen
Das Leben waehret achzig Jahr
Sagt man, und wenn es koestlich war
Dann ist's, wie ihres, Mueh' und Last gewesen
Die schwarzen Haare sind schlohweiss
Und so schliesst sich der Bilder Kreis
Die sich fuer mich um ihr Kinderbild ranken
Auch wenn's gar nichts zur Sache tut:
Ich schwoer's, besaess' ich einen Hut
Dann zoeg' ich ihn jetzt vor ihr in Gedanken
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